vernünftige
Gestaltung?
Einleitung
Einleitung
Schillers Überlegungen über das Schöne bieten eine reiche Fundgrube für die Ästhetiktheorie, die Pädagogik und nicht zuletzt die Kulturkritik. Hier soll nun der Versuch unternommen werden, Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen von 1795 hauptsächlich aus dem Blickwinkel der Gestaltung auf ihre Aktualität zu befragen. Grundlegend geht es Schiller darum zu beweisen, dass das Schöne in der Kunst zu einer Veredelung des Charakters im Medium einer ästhetischen Erfahrung beitragen und den Menschen so zu Freiheit und moralischem Handeln geleiten kann. Dabei entwickelt er jedoch keinen objektiven Begriff des Schönen, sondern fokussiert sich auf dessen Rolle in der Kultur sowie die Wirkungsweisen des Schönen auf den Betrachter. Demnach können die Briefe nur schwerlich als reines Handbuch für gute oder schlechte Gestaltungsprinzipien gelesen werden. Darüber hinaus darf man fragen, was der Gestalter, wenn er beispielsweise als Kommunikationsdesigner auf den Plan tritt, mit den schönen Künsten zu schaffen hat. Sollte er nicht Abstand nehmen von jedem prätentiösen Habitus der Kunst? Ist er als Dienstleister nicht eher noch dem Handwerker oder Ingenieur näher, wenn es darum geht, Gegenstände, Medien und Erfahrungen für die Zwecke seines Auftraggebers zu entwickeln?
Hier sei vorweggeschickt, dass Schiller mit einem weit gefassten Kunstbegriff operiert. So gibt es für ihn neben der Musik, der Dichtkunst, dem Theater, der Malerei und der Plastik auch eine ästhetische Staatskunst, eine Lebenskunst und sogar einen schönen Umgang, also schöne Kommunikation. Wiederholt kommt er auf die Baukunst zu sprechen, unter deren klassischem Verständnis Firmitas (Stabilität), Utilitas (Nützlichkeit) und Venustas (Schönheit) zu berücksichtigen sind. Hier geht der strikte Kunstbegriff in ein sowohl als auch über. Es darf jedoch nicht missachtet werden, dass Schiller keinen Zweifel an dem Primat der Kunstautonomie lässt. Die Kunst ist für den Dichter eine »Freiheit in der Erscheinung«, die sich keiner vulgären Funktion unterordnet. Gleichzeitig nutzt Schiller die Kunst gewissermaßen selbst funktionalistisch, wenn er sie als Vehikel seines höheren Ziels – der freien Gesellschaft – einsetzt.
Aus diesem Spannungsverhältnis ergeben sich Möglichkeiten, die Gestaltung einer Prüfung unter Schillerschen Vorzeichen zu unterziehen. Denn Gestaltetes formt den heutigen kulturellen Referenzrahmen oft auch dann, wenn der Gestalter dies überhaupt nicht beabsichtigt. Durch mythische Aufladung, Aneignung, Zweckentfremdung und Zweckerweiterung läuft auch der rein funktionalistisch ersonnene Gebrauchsgegenstand jederzeit Gefahr, die Aura eines Kunstwerks anzunehmen. Dieses Schicksal kann den Gegenstand auch ganz plötzlich treffen, wenn er als Ready-made durch die Macht der Dezision vom Künstler zum Kunstobjekt erklärt wird. Gleichsam kann die Kunst in ungewissen Zeiten den umgekehrten Weg nehmen und wie in der frühmittelalterlichen Umnutzung der antiken Ruinen als Steinbruch zum Gebrauchsgegenstand umgestaltet werden. In allen Fällen findet der Gestalter in diesen Vorgängen von Zeit zu Zeit statt, was schon genügen soll, um sein Treiben ins Auge zu nehmen.
Im ersten Teil meiner Arbeit werden einige der zentralen Motive für Schillers ästhetische Erziehung herausgearbeitet und gelegentlich unter Zuhilfenahme von Stimmen aus der Schiller-Rezeption angereichert. Dem voran steht ein kurzer Überblick zu der Entstehungsgeschichte und dem historischen Kontext von Schillers Briefen. Im zweiten Teil werden einige dieser Motive dann mit jüngeren Fragen zu Ästhetik, Kultur und Gestaltung in Verbindung gebracht, um ihre Aktualität zu prüfen. Zum Abschluss der Vorbemerkung soll diesem Versuch über Schillers Werk noch der selbe Warnhinweis vorangestellt werden, den auch Schiller selbst in seinem ersten Brief vor der Leserschaft geltend macht:
»Wenig geübt im Gebrauche schulgerechter Formen, werde ich kaum in Gefahr sein, mich durch Mißbrauch derselben an dem guten Geschmack zu versündigen.« [1]
Schillerdenkmal Mannheim