Schlussbemerkung

Schlussbemerkung

​​Wer nach der Aktualität eines Denkens fragt, ist unweit davon entfernt, auch nach dessen Verwertbarkeit zu fragen. Dies mag gerade bei einem Werk wie Schillers Briefen über die ästhetische Erziehung naheliegen, handelt es sich doch um eine Schrift, die nicht nur indirekt auf das Politische zu sprechen kommt. So wurde beispielsweise mehrfach darauf hingewiesen, dass man Schillers Augustenburger Briefe durchaus als Fürstenspiegel verstehen kann.[121] In Zeiten, in denen manche eine kulturelle Hegemonie aufbrechen möchten und andere eine metapolitische Wende in einem Kulturkampf herbeizuführen gedenken, scheint die Kultur und damit auch das Ästhetische erneut aktuell zu sein. Die Verlockung, eine ästhetische Erziehung für die eigene Sache fruchtbar zu machen beschränkt sich dabei nicht auf oppositionelle Kräfte, wenn die Kulturstaatsministerin Grütter in ihrer Rede von 2014 anlässlich zum Geburtstag Schillers proklamiert: Der Idealist helfe uns durch seine Versöhnung von Politik und Kunst »nüchtern die zwei Herzkammern einer vitalen Demokratie zu erkennen«.[122]

Eine neutrale Position kann hingegen darin bestehen, den Einsatz von Schillers Schrift für ein konkretes Projekt abzulehnen. Man könnte es hier mit dem Augustenburger Prinzen halten, der die ästhetische Erziehung in einem Brief rezensiert, in dem er zwar auch eingesteht dass Schillers schwierigen Briefe für ihn noch »manche Dunkelheiten enthalten« und er die Lektüre im »Sommer, auf dem Lande bey mehrerer Muße, und weniger Zerstreuung« wiederholen muss. Trotz alledem hat der Augustenburger bereits einen Kern erfasst der manch neuerem Leser verborgen bleiben mag:

Die Verbesserung des Zustandes der Menschheit muß vom inren Menschen ausgehen. Geschieht dies nicht, so wird jedes politische Gebäude, sey es auch noch so schön in kurzem verfallen, und ungezähmten rohen Leidenschaften vielleicht zu einer noch bequemeren Behausung dienen. Es komt beynahe nicht auf die Form, es komt auf den Geist an durch welchen diese Form Leben erhält. Ist dieser Geist, der Geist der Humanität, dann wird die gewünschte Verbesserung erfolgen, die Form mag beschaffen seyn wie sie will.[123]

Denn so geht es in Schillers Briefen nicht darum, eine präferierte Gesellschaftsform ästhetisch aufzuladen, um sie besser verdaulich zu machen. Die ästhetische Erfahrung ist ein Zustand der freien Bestimmbarkeit. Gleichzeitig erinnert Schiller Künstler aber auch Gestalter im weitesten Sinne daran, wie mächtig die Werkzeuge sind, mit denen sie alltäglich hantieren. So halten der falsche Schein und der bedürftige Schein Gefahren für die Erkenntniskraft bereit. Gerade wenn ein solcher Schein den Willen in einem schwachen Moment überfällt, können sich Dynamiken entfesseln, die denen der Französischen Revolution in nichts nachstehen.

Freilich kann man Schiller, der selbst Dichter war, nun verdächtigen, seine eigene Zunft zu überhöhen. So könnte auch ein Bäcker argumentieren, dass seine Backwaren, die immerhin den Magen füllen, die Vernunft und die freie Gesellschaft überhaupt erst ermöglichen. Aussagen dieser Art finden sich in den Unsere Mission Bereichen, jeder standesgemäßen Unternehmenswebseite. Genauso muss Schiller sich die Frage gefallen lassen, ob sein grundsätzliches Projekt einer ästhetischen Erziehung nicht jeder realen Umsetzbarkeit entbehrt. Denn seine Totalität des Charakters muss sich schließlich notwendigerweise in der Totalität der Gesellschaft vollziehen, bevor Besserung eintritt. Dieser Umstand war Schiller bewusst, so schließt er seine Abhandlung mit der nüchternen Betrachtung, dass der Staat des schönen Scheins nur in »einigen wenigen auserlesenen Zirkeln« zu finden sei.

Ob der Zirkel der Gestalter ein Auserlesener werden kann, steht noch in den Sternen. Doch kann auf die wohlüberlegte Gestaltung von Gebrauchsgegenständen nicht verzichtet werden, solange der Mensch eine doppelte Natur besitzt. Hier kann man sich ein Beispiel an dem Dichter nehmen, der einen Ausflug in die Theorie unternahm. Anstatt einfach drauf los zu gestalten, ist es sicher hilfreich, neben der praktischen Expertise zudem an dem theoretischen Verständnis zu feilen und so über das eigene Fach hinaus einen Blick für die Welt zu entwickeln und nicht Gefahr zu laufen bloß zu einem Abdruck des eigenen Geschäfts zu verkommen.[124] Allem voran erinnert Schiller daran, dass der pädagogische Gestalter nicht aus den Augen verlieren darf, für wen er gestaltet und wie dieser Jemand beschaffen ist. Hieraus ergibt sich also endlich auch ein hemdsärmeliges Designmotto:

Form follows Leben,

Form follows Gestalt.

2 – 4 Spieltrieb & Würde

Schillerdenkmal Mannheim