Entstehungsgeschichte der Briefe

Entstehungsgeschichte der Briefe

Friedrich Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen sind von den Umwälzungen der Zeit des Autors durchdrungen. Zugleich erhebt die Schrift auch eine überzeitliche Gültigkeit. Der Dichterfürst, der hier sein angestammtes Revier der Poesie verlässt, um sich in die Gefilde der Theorie zu begeben, verbindet in seiner Sprache das Analytische mit dem Musischen. Diese Eigenheit, die sich schon im schriftstellerischen Stil der Briefe bemerkbar macht, wurde zu ihrem Erscheinen von einigen Rezensenten als ungenaue Philosophie getadelt.[2] Dennoch ist gerade dieser doppelte Boden für Schillers ästhetisches Denken bereits programmatisch. Immerhin will der Dramatiker eine ästhetische Theorie der Erkenntnis entwickeln, die den Menschen nicht als reines Vernunftwesen begreift.


01 – Ein Dichter in Bedrängnis

Die 27 Briefe, aus denen sich Schillers Abhandlung über die Ästhetik speist, entstanden ursprünglich als Geschenk an einen adeligen Sponsor. Der dänische Friedrich Christian von Augustenburg war es, der den Dichter einige Jahre zuvor finanziell unterstützt und somit aus einer prekären Situation befreit hatte. Schillers Gesundheit war lange Zeit in Schieflage geraten, zudem litt sein kreatives Schaffen unter den Verpflichtungen einer bei den Studenten beliebten, aber miserabel bezahlten Professur in Jena. Als entsprechend große Erlösung muss Schiller die Zuwendung des Augustenburgers erreicht haben, versetze sie ihn doch in die angenehme Position, sich fortan ganz in die Arbeit an seinen eigenen Interessen zu vertiefen. Von der akuten Geldnot befreit war es vor allem das Studium von Kants Philosophie, in das der Dichter sich nun stürzte. Besonders die Frage nach dem Schönen trieb Schiller um. Das Schöne war bei Kant durch kein objektives Prinzip bestimmt worden, sondern blieb stets empirisch vom betrachtenden Subjekt abhängig. Im Diskurs mit befreundeten Kantianern begann Schiller, das Wesen des Schönen, mit der Absicht, es auf ein festeres Fundament zu stellen, theoretisch zu untersuchen. Die hierbei entstandenen Kallias-Briefe können als weitere Vorläufer seiner ästhetischen Theorie verstanden werden. So ragen diese Ideen zwar in seine Briefe über die ästhetische Erziehung hinein; doch geht es ihm hier bereits weniger um das Wesen als um die Wirkung des Schönen. Er will beweisen, weshalb eine ästhetische Erziehung des Menschen durch die Kunst notwendig ist. Als Telos dieser Erziehung sieht Schiller den freien Menschen, der sich am Bau einer moralischen Gesellschaft betätigt.

02 – Die Französische Revolution

Der Bau einer solchen Gesellschaft ist zu Schillers Zeit kein fernes, rein theoretisches Programm. In der Französischen Revolution, deren Nachbeben zur Entstehungszeit der Briefe noch immer die Weltbühne beherrschten, sahen viele Zeitgenossen den Versuch, jene emanzipatorischen Ideen, die auch Schiller bewundert, ins Werk zu setzen. Als Autor von Dramen wie »Die Räuber« hatte Schiller eine unverblümte Fundamentalkritik am Status Quo vorgelegt. Kaum waren sie auf die europäischen Theaterbühnen losgelassen, lieferten seine Dramen der republikanischen Seite eine willkommene geistige Munition. So würdigte die französische Nationalversammlung den Dichter 1792 sogar mit einer Ehrenbürgerschaft. Doch entfremdet sich der frischgebackene Ehrenbürger Schiller schnell von den Aufständen im Nachbarland. Zu scheußlich waren ihm die Gräuel der Revolution geworden, die sich ihm in der Terrorherrschaft der Jakobiner, den gesetzlosen Schauprozessen des Revolutionstribunals, den ununterbrochenen Hinrichtungen an der Guillotine und den blutdürstigen Pariser Massen darboten. Angesichts eines solchen Unheils stellt Schiller fest, dass jede Spur der hehren humanistischen Ideale in der Gemengelage abhandengekommen war. Die Französische Revolution hatte offensichtlich darin versagt, ihre eigenen Parolen zur Staatsräson zu machen. Sogar dem Projekt der Aufklärung kann Schiller keine freiheitsstiftende Wirkung mehr abringen – er geht gegenüber dem Zeitgeschehen auf Distanz. Gewissermaßen folgt Schiller dem Rat des Gegenaufklärers Joseph De Maistre, wenn dieser gegenüber sämtlichen Vordenkern der Revolution aus dem Schweizer Exil heraus fordert dass »alle die auf irgendeine Art zu diesem schrecklichen Umsturz beitragen konnten, sich unter der Erde verstecken sollten.«[3] Schillers Tauchgang unter die Erde hat allerdings weder eine Abkehr von seinen Überzeugungen, noch eine Flucht ins Private zum Ziel. Stattdessen hält der Idealist in der Tiefe nach jenen Wurzeln Ausschau, aus denen eine freie Gesellschaft noch emporwachsen kann.

03 – Horen

Ab 1795 erschien die Korrespondenz an den Prinzen von Augustenburg schließlich als »Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen«, episodisch und in überarbeiteter Fassung in den »Horen«. Diese von Schiller selbst ins Leben gerufene Monatsschrift machte seine Briefe erstmals einem breiten Publikum zugänglich. Obwohl die Briefform hier nicht mehr nötig gewesen wäre, wurde sie von Schiller aus den Augustenburger Briefen – diesmal allerdings mit einem anonymisierten Adressaten – übernommen. Interessant ist, dass die Horen selbst bereits als erster ganz konkreter Versuch einer ästhetischen Erziehung im Kleinen gedeutet werden können. In der Ankündigung seiner Monatsschrift, in der auch Goethe und Schlegel publizieren würden, verhängt Schiller ein strenges Verbot über alle tagespolitischen Stellungnahmen. So soll seine schöngeistige Zeitschrift »einen engen vertraulichen Zirkel schließen, aus welchem alles verbannt seyn wird, was mit einem unreinen Partheygeist gestempelt ist.«[4] Stattdessen gedenkt Schiller seine Leserschaft mit einem Stoff zu betrauen, der geeignet ist, »die politisch geteilte Welt unter der Fahne der Wahrheit und Schönheit wieder zu vereinen.«[5][5] Schon in dieser Ankündigung der Horen zeigt sich, dass Schiller die Rolle des Schönen zwar betont, die Kunst jedoch nicht autotelisch verstehen will. Mit dem Schönen tritt er lediglich einen – wenn auch unausweichlichen – Umweg an, dessen Ende wieder im Politischen münden wird. Gleichwohl bilden Kunst und Staatskunst für Schiller keine Gegensätze, er rechtfertigt sein Thema vor der Zeit indem er sie gemeinsam denkt:

»Ist es nicht wenigstens außer der Zeit, sich nach einem Gesetzbuch für die ästhetische Welt umzusehen, da die Angelegenheiten der moralischen ein so viel näheres Interesse darbieten, und der philosophische Untersuchungsgeist durch die Zeitumstände so nachdrücklich aufgefordert wird, sich mit dem vollkommensten aller Kunstwerke, mit dem Bau einer wahren politischen Freiheit zu beschäftigen?«[6]

0 – 0 Einleitung

1 – 1 Staatsverwandlung

Schillerdenkmal Mannheim